Aufbruchs-Euphorie: Ein bekanntes Gefühl, diesmal ganz anders (Teil 01)

Von Aleks (Roadtrip Stories)

„Kannst du mir mal eben das Desinfektionsmittel reichen? Haben wir noch Masken?“ – Fragen, die meinen Reisepartner Chris und mich dreieinhalb Wochen lang begleiten werden. Auf einer Reise, entlang der Berglandschaften Österreichs, dabei an imposanten Wasserfällen wandernd in Slowenien und mit dem Panorama des kroatischen Velibit-Gebirges vor Augen, das bis ins adriatische Meer hinein ragt.

Für Chris die erste Roadtrip-Erfahrung überhaupt. Hoch sind seine Erwartungen nach meinen Erzählungen vom Reisefeeling, das sich mit jedem Reisetag nochmal steigert. Auch meine Vorfreude kennt keine Grenzen. Reisen, das wirkt entschleunigend. Ein Roadtrip, genau das ist es, worauf ich jetzt Lust habe. Also nichts wie los. Wir starten in München und schon sind wir auf der Autobahn Richtung Österreich. Ziel des ersten Tages: Das Bluntautal und die Gollinger Wasserfälle südlich von Salzburg.

„Okay, das sieht hier gerade ganz anders aus“, denke ich mir. Mein Blick richtet sich vom Eingangsbereich in Richtung eines nahezu menschenleeren Thekenverkaufs der Kaffeerösterei Dinzler. Ein paar Meter weiter: Chris reibt seine Hände mit Desinfektionsmittel ein. Von der Theke aus schweifen vereinzelt Corona-Maßnahmen-Kontrollblicke anderer Besucher auf unsere Hände und Gesichter. Pflichtbewusst tragen wir Mundschutz. 

Es ist noch Morgen und Chris strotzt voller Euphorie, freudig auf die kommenden Reisezeit. So auch ich. Doch vor fünf Minuten im Auto war diese spürbar zügelloser. Denn inmitten unseres ersten Stopps wird uns klar: Das Reisen inmitten der Corona-Pandemie könnte sich als komplett anders und viel umständlicher herausstellen, als gedacht. Waren wir zu naiv? War es eine gute Idee, diesen Sommer aufzubrechen? Sind wir ausreichend auf Eventualitäten eingegangen? Reicht das strenge Auferlegen der AHA-Regeln unsererseits aus, um uns als auch unsere Umwelt mit keiner Infektion zu gefährden?  Unsere Gedanken lassen wir uns gegenseitig nicht anmerken. „Anders, das muss nichts Schlechtes heißen. Und wenn wir gewissenhaft aufpassen, sind wir auf der sicheren Seite“, denke ich mir. Und die Welt: Diese befindet sich derweil in der Bekämpfung einer weltweiten Pandemie.

Die Kaffeerösterei Dinzler ist einer meiner liebsten Zwischenhalte bei Reisen in Richtung Salzburg. Direkt an der A8 gelegen, Autobahnausfahrt Irschenberg – und schon ist man da. Ich mag den Stil des Dinzler Cafés & Restaurants. Gerne entspanne ich hier bei einem warmen Getränk und dem ein oder anderen Snack – und schließe oder beginne hier das ein oder andere Reiseabenteuer. Schon am Morgen bei lockerem Flair Energie tanken. Mit einem phänomenalen Frühstück. Das ist der Plan. Und meine Absicht bestand darin, dass ich auch Chris schon beim ersten Stopp dazu bringen kann, relaxed in das gemeinsame Reisevorhaben zu starten. Und trotz der Hygienemaßnahmen vor Ort, die streng eingehalten werden – und der gefühlten Menschenleere – genießen Chris und ich in vollen Zügen das Aufgehen dieser Strategie – bei Tee, Kaffee, Orangensaft und einer leckeren Frühstücks-Bowl – Bergpanorama inklusive. 

Gelungener Morgenstart: Yes! Reise vs. Pandemie: 1 zu 0.

© Aleks (Roadtrip Stories)

Der Grenzübergang nach Österreich gestaltet sich problemlos. Rasch die Autofrontscheibe mit der gekauften Vignette verzieren, Hände desinfizieren und ab geht’s in Richtung Bluntautal bei Golling. Südlich von Salzburg. Schon jetzt verzaubern uns die umliegenden Gebirgsmassen. Die Tal-Kulisse ist dabei super idyllisch. Alpenvorland eben.

© Aleks (Roadtrip Stories)
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Am Parkplatz des Bluntautals schnüren wir unsere Wanderschuhe und starten los zu den türkisblauen Seen. Kühe und andere Wanderer kreuzen unseren Weg. Und dann: Wow. Deshalb sind wir losgefahren. Der erste See erfasst uns mit seinen Landschaftsspiegelungen. Das ging schnell. Gefühlt in nur 15 Minuten Fußmarsch. Und schon jetzt, beim Anblick der Kulisse, wandeln sich meine Bedenken vom Morgen in Glücksgefühle.

© Aleks (Roadtrip Stories)

Von allen Seiten spiegeln sich Bergabschnitte im Wasser. Ein Nass, so klar, dass Fische von weitem erkennbar sind. Mein persönliches Highlight vor Ort: Ein befestiger Weg zwischen den zwei Hauptseen – sich hier für eine Blickrichtung zu entscheiden, ist gar nicht so einfach. Wir nehmen den Rückweg, am Bachlauf entlang und teils im Wald, links der Seen. Und folgen nahe unseres Ausgangspunktes am Rand der Ortschaft Golling, den Schildern der Wasserfälle.

Entlang an grünen Wiesen und einer Route, die zwischen Hang und Talebene verläuft. Das Terrain ändert sich allmählich und wir befinden uns, umgeben von Wald, auf etwas steilerem Gelände. Beim Blick ins Tal erfassen wir abschnittsweise Steinformen, so gewaltig, als stammten sie von massiven Felsstürzen. Kühe grasen im Schatten des Gesteins. 

© Aleks (Roadtrip Stories)

Der Pfad führt uns auf eine schmale Straße. „Sind wir hier noch richtig?“ – Chris und ich werfen uns gegenseitig rätselhafte Blicke zu. Wir bemerken Passanten, die der Straße mit leichter Steigung folgen. Da ziehen wir einfach mal mit. Ein PKW überholt uns und schon ein paar Schritte weiter sehen wir einen Parkplatz und sanftes Rauschen mischt sich in die umliegende Geräuschkulisse. Das muss es sein. Mit etwas Kleingeld bezahlen wir an der Eingangspforte den Eintritt zu den Wasserfällen. 

Wir sind ja clevere Kerle, denken wir uns, als wir bergauf seitlich den markierten Weg abkürzen. Durch steile Passagen. Etwas rutschig. Aber, wir sind ja unglaublich clever – ich liebe Wasserfälle – und so sind wir schneller am Wasserfall. Und „verpassen werden wir schon nichts“, sage ich noch zu Chris. 

Denkste.

Dank Instagram und Google ist mir bekannt, wie der Hauptwasserfall aussieht. Wir überqueren eine stählerne Brücke, genießen dabei die Aussicht nach unten und fragen uns, wie weit es noch bis zum Hauptwasserfall sein kann. Ist der echt so weit oben? Also weiter bergauf. Für Menschen, die Stufen zählen, ist das hier
sicher die Kirsche auf der Sahnetorte. Holzstufe nach Holzstufe ebnen wir uns den Weg nach oben. Das Rauschen wird immer lauter. Wir sind sicher schon ganz nah. Wasserfall! Auf einer Stahlbrücke stehend, rauscht er in die Tiefe. Hip, wie wir sind, zücken wir unsere Smartphones für den ein oder anderen grandiosen Shot. Ziemlich cool. Habe ich schon erwähnt, dass ich Wasserfälle liebe? Mich ziehen diese Dinger förmlich an. Und egal, wie heftig die Wassermassen tosen. Vor einem Wasserfall zu stehen, zu sitzen, zu liegen – was auch immer – finde ich unglaublich meditativ und so könnte hier Stunden ausharren.

© Aleks (Roadtrip Stories)

Aber: So schön es hier auch ist – Fakt ist, das ist nicht der Hauptwasserfall. Also noch weiter rauf… Stufe für Stufe erklimmen wir das Gefälle. Das Ende des Weges ist in Sichtweite. Eine letzte Kurve und da muss er sein. Da ist auch was. Aber nicht das, was wir erwartet hatten. Sicher – die Quelle zu sehen, die die Wasserfälle speist – das ist schon toll. Aber where the f**k ist der große Wasserfall aus Instagram?

Kannst du dich an die Aussage „verpassen werden wir schon nichts“ erinnern? Chris und ich gingen zurück zur Stelle, an dem ich diesen klugen Satz von mir gegeben habe.

© Aleks (Roadtrip Stories)

Doch statt wieder Abkürzungen zu nehmen, wandern wir auf markierten Pfaden. Wir mussten feststellen: Das macht eventuell sogar Sinn. Denn nicht weit vom Eingang hört man schon ein Rauschen, das beim Folgen des MARKIERTEN Weges an Lautstärke zunimmt. Ein Rauschen, dass uns beiden zuvor völlig entgangen ist. Ein triumphierendes „Ge bitte!“ entgleist signalisierend meinen Lippen. Mit nahezu wienerischem Charme, doch von der eigenen Cleverness betrogen, stürzen wir wie Quelltropfen im Kaskaden-Wettlauf hinab in die Tiefe zum Becken des Hauptwasserfalls. Größenverhältnisse lassen sich auf Bildern nur bedingt festhalten.

© Aleks (Roadtrip Stories)

Denn der Wasserfall ist so viel größer, als ich dachte. Und wunderschön. Wir halten uns an seinem Becken auf – spüren die Gischt, und lassen im Moment alles andere vergessen. Einfach abschalten und die Natur wirken lassen. Die Augen schließen. Außengeräusche wahrnehmen. Einatmen. Ausatmen.

© Aleks (Roadtrip Stories)
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Nach einer Weile entfernen wir uns vom Wasserbecken, betrachten den Wasserfall abschließend ein letztes Mal von Weitem und kehren zurück zum Eingang. Gewappnet mit einem „Radler“ pro Nase, gekauft am Wasserfall-Kiosk, treten wir den Rückweg an. Über den Wald? Nein. Über den asphaltierten Weg. Der führt uns sicher ganz easy zum Bluntautal-Parkplatz. Wir sind ja clever. Und so spazieren wir an Häusern im Tal vorbei, an grünen Wiesen und Feldern – und schaffen es beinahe, die Orientierung zu verlieren. Generation Y, uns darf das schon mal passieren. Eine von fernem erkennbare Tunnelbrücke kommt uns bekannt vor. Querfeldein stolzieren wir durch Gollings Landwirtschaftsflächen und kommen am Parkplatz an. 

Die Fakten auf einen Blick: 

Durchschnittliche Dauer der Wanderung: 2:30 Std.

Dauer unserer Wanderung: ca. 5 Std. mit Spaßfaktor

Wenn nach einer „leichten“ Wanderung ein wohltuendes Gefühl beim Gleiten der Füße aus den Wanderschuhen aufkommt, dann hat man alles richtig gemacht, oder? Uns ist es während des Roadtrips nicht wichtig, im Vornherein eine bestimmte Zeitdauer für  Wanderungen festzuhalten, um durch die gesparten Minuten oder Stunden dann mehr Zeit für andere Sehenswürdigkeiten zu haben. So reisen wir nicht. Es ist zwar toll zu wissen, wie viel Zeit bspw. eine Fahrtroute oder ein Wanderpfad in Anspruch nehmen könnte – aber darauf wollen wir uns nie versteifen. Das gäbe uns nur Stress und möglicherweise wären wir dann etwas nachlässiger, wenn es zum Beispiel um das Einhalten der Corona-Schutzmaßnahmen ginge. Daher haben wir uns angeeignet, während der gesamten Reise, glücklich mit den Momenten zu sein, die wir haben – auch bei Rückschlägen optimistisch und positiv zu denken. Dabei war es gar nicht so wichtig was wir getan haben, sondern, dass wir uns stets auf die jeweilige Situation und Umgebung einließen.

Wir verstauen unsere Wanderschuhe im Kleinwagen. Googlen kurz die Route zum nächsten Supermarkt und machen uns auf den Weg. Mit etwas Proviant fürs Abendessen geht’s zur heutigen Unterkunft. Serpentinen ebnen uns den Weg und das Panorama wird bei der Fahrt auf den Berg mit jedem zurückgelegten Höhenmeter spektakulärer. Die untergehende Abendsonne zieht ihr Ding durch und so befinden wir uns am ersten Abend der Reise plötzlich vor einer Kulisse, die sämtliche Restbedenken unseres Corona-Pandemie-Roadtrips einfriert. Einzelne Häuser am Straßenrand. Eines davon unser Airbnb. Herrlich.

Side-Facts zur Story.

Dauer: 3,5 Wochen

Zeitraum: Mitte August bis Mitte September 2020

Personenzahl: Zwei

Circa 2.050 Kilometer durch: Österreich, Slowenien, Kroatien

Teil 02 der Story folgt in Kürze.

Roadtrip Stories ist dein Onlinemagazin für Mindful & Slow Travel. Und wir lieben Roadtrips, denn diese eignen sich ideal, um erste erste Erfahrungen mit dem bewussten und entschleunigenden Reisen zu machen. Nach den Geschichten, die während einer solchen Reise entstehen, haben wir uns benannt.