von Ingmar Wein
Wir befinden uns im Jahre 2021 n. Chr. Der ganze Planet ist von Covid-19 besetzt. Der ganze Planet? Nein! Ein von unbeugsamen Neuseeländern bevölkertes Land hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten – und macht dem neuen Virus, der den Rest des Planeten eindrucksvoll lahm legt, das Leben nicht leicht.
Einreisesperren an der Grenze für 99% der Weltbevölkerung, eine klare Linie im Land sowie eine strikte Handhabung der Lockdown-Levels sorgen dafür, dass Neuseeland seit Mai 2020 bis auf zwei bis drei kleine Ausbrüche an Fällen von Covid-19 dem Virus stand hält. Mein Flug aus Deutschland war für den 10. Februar gebucht. Das chinesische Festland konnte nicht mehr bereist werden, Flüge über Hong Kong durften aber noch nach Neuseeland einreisen. So habe ich es per Flug über Hong Kong geschafft, mein geplantes Working-Holiday-Jahr in Neuseeland gerade noch rechtzeitig zu starten. Nach der großen Verbreitung von Covid-19 hat Neuseeland Ende März 2020 die Grenzen abgeriegelt.
Ausreisen kann man seitdem nur unter erschwerten Bedingungen – oder wenn man teure Flüge bucht. Einreisen sind nicht mehr möglich. Nach kurzer Überlegung stand für mich fest, dass ich in Neuseeland bleiben will. Eine gute Entscheidung, denn die „Krise” war nach ca. zwei Monaten Lockdown sehr schnell wieder vorbei. Seitdem reise ich als Fotograf durch das Land. Momentan bin ich seit einem halben Jahr auf der Südinsel. Von dort aus nehme ich dich auf einen kleinen 10-Tage Roadtrip mit: Ein fast Covid-19-freier Reisebericht aus Neuseeland.
„Hallo an alle und liebe Grüße aus Neuseeland, dem Covid-19 freien Land. Meistens zumindest.“
Roadtrip März 2021
Südinsel Neuseelands:
Christchurch – Wanaka – Westcoast – Nelson – Christchurch
Der Camper war gebucht, Frankie kam von der Nordinsel runter auf die Südinsel geflogen. Am 27. Februar 2021 war ich noch als Festival-Fotograf für das Electric Avenue gebucht, das zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich weltweit größte stattfindende Outdoor-Festival an diesem Wochenende. Es wurde anständig getrunken und gefeiert, als nachts so gegen 20 Uhr, während des Headliners dann auf allen Handys per Notfall-Warnung die Meldung kam: Auckland geht in einen Lockdown (Level 3), da dort einige Covid-19-Fälle aufgetaucht sind. Auch der Rest des Landes bereitet sich auf einen Lockdown vor (Level 2).
Bei Level 2 werden Masken im öffentlichen Bereich getragen und es zählt das “Social Distancing”, also zwei Meter Abstand zu Personen außerhalb der eigenen „Bubble“. Level 3 heißt dann, dass man zu Hause bleiben muss, aber noch arbeiten oder zur Schule gehen kann, solange das unter dem vorgeschriebenen Sicherheitsabstand möglich ist. Bei Level 4 haben nur noch wichtige Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Supermärkte offen, ansonsten hat jeder zu Hause zu bleiben.
Lockdown Level 2 also, nachdem in der Nacht davor ca. 26.000 Menschen zusammen ohne Masken und Sicherheitsabstand am Feiern waren. Da sind direkt ein paar Erinnerungen an den „großen” Lockdown im März 2020 zurückgekommen. Innerhalb von 48 Stunden hat die liberale Neuseeländische Regierung unter der Premierministerin Jacinda Ardern damals einen Level-4-Lockdown angekündigt. Geschäfte sind entweder direkt ins Homeoffice umgestiegen, haben zugemacht oder durften per „Essential Rating“ unter Einhaltung von Maskenpflicht und Abstandsregeln weiterarbeiten. Mein damaliger Arbeitgeber war eine Verpackungshalle für Kiwis (Früchte). Da das direkt mit der Produktion von Nahrungsmitteln zu tun hat, war diese Arbeit als „essential” eingestuft, sodass wir also weiterarbeiten durften. So gesehen ein Vorteil, da man Geld verdienen konnte, ohne die Versuchung zu haben, es ausgeben zu wollen. Angestellte, die ihrer Berufung nicht mehr nachgehen konnten, wurden durch ein von der Regierung aufgestelltes Überbrückungsprogramm weiterbezahlt.
Den Lockdown über, aber auch heute noch, setzt die neuseeländische Regierung auf ein sehr einfaches Konzept. Die verschiedenen Levels werden überall klar kommuniziert. Die Aussagen der Regierung sind nachvollziehbar und lehnen sich an die Wissenschaft an. Für mich interessant war eine umgedrehte politische Haltung der Parteien im Vergleich zu den deutschen Parteien. Während in Deutschland z. B. die liberale FDP wieder arbeiten und lockern will, setzt die liberale neuseeländische Regierungspartei „Labour” darauf, die Grenzen komplett dicht zu machen. Die zweite große Partei in Neuseeland, die Nationals mit einer Mitte-Rechts-Politik, möchte wieder offene Grenzen. So haben sich die Nationals beim „großen” Lockdown direkt für Lockerungen ausgesprochen. Wie die Parteien der Mitte und Mitte-Rechts mit der Thematik in Deutschland umgehen, hört sich da ganz anders an als bei ihren Kollegen in Neuseeland. Interessant war die ebenfalls stattfindende Regierungswahl nach dem Lockdown. Dort hat sich die liberale Labour Party mit ihrer eher strengen Covid-Politik und den geschlossenen Grenzen so stark durchgesetzt, dass sie alleine regieren hätte können. Dennoch hat die Labour Party beschlossen, mit der Grünen Partei zu kooperieren, um Themen wie den Klimawandel stärker in den Vordergrund zu rücken.
Aber nun zurück zum Roadtrip und dem neuen Level 2.
Der Nachteil an Level 2: Social Distancing. Der Vorteil an der neuseeländischen Südinsel: Fast keine Bevölkerung. Wir haben uns also dazu entschieden die Masken einzupacken und den Roadtrip zu starten. Auf der Liste waren einige Berghütten im Mt. Cook- und Aspiring National Park sowie Freedom Camping auf eher abgelegenen Plätzen.
Pläne und das Wetter in Neuseeland.
Pläne und das Wetter in Neuseeland sind zwei Dinge, die normalerweise nicht allzu gut zusammenpassen. Der Plan war es, von Christchurch aus nach Süden zum Lake Pukaki zu fahren, um von dort aus dann den Mt. Cook National Park zu besuchen.
Neuseeland hat als Insel zwei primäre Wetterlagen. Im Nord-Westen gibt es warme Luft, die aus Asien und dem Pazifik kommt. Die Wetterlage wird von den Hügeln und den Bergen an der Westküste abgefangen. Regen gehört daher eher zum Alltag an der Westküste. Die andere Wetterlage ist der Südwind aus der Antarktis, also kalte trockene Luft. Beide Wetterlagen wechseln sich gerne ab, teilweise finden die Übergänge innerhalb von 30 Minuten statt. Das Wetter in den Bergen wechselt innerhalb einer halben Stunde gerne mal von angenehmen 25 Grad auf kalte 12 Grad.
Dazu kommen unvorhergesehene Regenschauer mit Wind, die das Wandern in den Bergen zu kleinen und größeren Herausforderungen machen können. So auch bei unseren geplanten Wanderungen auf die Mueller Hut und die Liverpool Hut. Mueller Hut mussten wir am Besucherzentrum absagen, da die Wolken für die nächsten Tage so tief im Tal hingen, dass man den Weg nicht mehr sehen konnte. Liverpool Hut mussten wir absagen, da unser gemieteter Van die Flussüberquerungen auf dem Weg zum Trail nicht geschafft hätte. Flussüberquerungen in Neuseeland sind nämlich gerne entweder einspurige Brücken auf Highways und asphaltierten Straßen – oder es gibt erst gar keine Brücken, was auf Schotterstraßen gerne der Fall ist. Heißt: Man fährt durch den Fluss durch. Und das wiederum bringt Herausforderungen mit sich, wenn bei Regenwetter die Flüsse steigen.
Mit Regen und Wolken, aber ohne Mueller Hut und Liverpool Hut, sind wir ein bisschen durch den Mt. Cook National Park getourt und haben uns den Hooker Valley Trail angeschaut. Der höchste Berg in Neuseeland, Mount Cook/Aoraki, wollte sich nicht zu erkennen geben, was soweit auch nicht verwunderlich ist. Angeblich sieht man Aoraki an zwei von drei Tagen nicht.
Nach den abgesagten Hütten und einem kurzen Studieren der aktuellen Wolken und der Wetterlage haben wir uns dann für eine Wanderung zur Fern Bern Hut in der Nähe von Wanaka entschieden. Schon auf dem Weg zur Hütte merkte man, dass das nicht nur irgendein Wanderweg ist. Die Fern Bern Hut ist ein Teil des Te Araroas, des Wanderweges, der vom Norden in Neuseeland (Cape Reinga) zum südlichsten Punkt (Bluff) auf 4.000 Kilometer Strecke führt. Dementsprechend hatten wir auf der Hütte auch eine gute Gesellschaft an TA-Wanderern. Überraschend war die Mischung aus Wanderern. Es waren einige Kiwis (die Einwohner Neuseelands nennen sich übrigens oft selbst „Kiwis“) dabei, aber auch Belgier, Franzosen und eine Deutsche.
Nächster Halt: Die West Coast.
Zur Westküste gibt es erst einmal ein paar relevante Fakten: 195 Regentage pro Jahr, das ist die West Coast auf der Südinsel. 1,03 Millionen Menschen leben auf der Südinsel, davon alleine schon 380.500 in Christchurch, der größten Stadt hier.
Die Südinsel mit ihren 150.437 Quadratkilometern ist etwas größer als die Schweiz und Österreich zusammen gerechnet. Das ergibt eine Dichte von 7,9 Personen pro Quadratkilometer auf der Südinsel. Schaut man sich allerdings weitere Nummern zur Westküste mit ihren 31.575 (2018 Census) Menschen an, ergibt das auf die Größe der Westküste umgerechnet eine Dichte von 1,4 Personen pro Quadratkilometer. Zum Vergleich: Deutschland liegt bei 232 Personen pro km2. Ergo (fast) keine Menschen auf großer Fläche. Perfekt. Wir Deutschen scheinen ja von solchen Orten magisch angezogen zu werden, was wahrscheinlich daran liegt, dass wir in einem eher überbevölkerten Land aufwachsen.
Und die Westküste hält ihr Versprechen. Menschenleer sind die Straßen. Auf den Wanderwegen ist ebenso wenig los. Wir campen auf einem Campground in Fox Glacier. Wo normalerweise Touristenbusse und Wohnmobile stehen, sind mit uns noch zwei weitere Vans auf dem Campground. Ansonsten Stille. Der fehlende Tourismus trifft kleine Ortschaften wie Fox Glacier sehr stark, aber auch die größeren Touristenecken wie Queenstown sind finanziell sehr am Leiden. Man trifft nur noch selten andere Nationen. Die meisten Reisenden in Neuseeland sind mittlerweile Kiwis, die sich ihr eigenes Land anschauen.
Das Land erlebt sich sozusagen gerade selbst. Kiwis haben die Möglichkeit die „Great Walks” zu laufen. Das sind die zehn Haupt-Wanderwege in Neuseeland. Diese sind als Tramping-Wege ausgelegt, mit meistens zwei oder drei Nächten auf Berghütten. Diese Berghütten haben nur in den Sommermonaten geöffnet und müssen vorab online gebucht werden. Doch meistens sind diese Hütten wegen internationalen Wanderern und Touristen innerhalb weniger Minuten ausgebucht, sodass Kiwis selten die Chance bekommen, ihre eigenen Wanderwege zu laufen. Das hat sich nun geändert.
Durch die Pandemie erleben Neuseeländer ihr Land gerade neu.
Ansonsten sind viele Kiwis ein bisschen am Durchatmen. Die Straßen sind weniger verstopft, die Campgrounds leerer. Man ist wieder eher „unter sich“. Eine weitere Veränderung, die mir auffällt, ist, dass die Neuseeländer bisher zum Urlaub machen lieber nach Australien, in den Pazifik oder nach Asien geflogen sind. Das eigene Land zu bereisen war da eher die Ausnahme. Dadurch, dass man aktuell zwar als Neuseeländer ausreisen kann, bei der Einreise aber für 14 Tage in Quarantäne und dafür auch die Kosten selbst tragen muss, bereisen Neuseeländer derzeit lieber ihr eigenes Land. Das stärkt die lokalen Märkte und die Tourismusunternehmen. Es zeigt den Neuseeländern aber auch, in was für einem landschaftlich schönen Land sie leben und sorgt für ein neues Selbstbild bei den Neuseeländern. Eine Beobachtung zum Reiseverhalten zeigt mir allerdings, dass Neuseeländer beim Bereisen des eigenen Landes eher auf Orte und Routen unterwegs sind, die wenig mit dem internationalen Tourismus zu tun haben. Orte wie zum Beispiel Queenstown, die vom internationalen Tourismus leben, haben deshalb sehr zu kämpfen. In kleineren und abgelegenen Ortschaften ist aber teilweise mehr los.
Im nächsten Beitrag nehme ich dich mit auf den zweiten Teil des Roadtrips. Freue dich zudem auf einen alternativen Reiseplaner für die Südinsel, indem ich dir einige Plätze und Routen vorschlagen werde, die man abseits des Mainstream-Tourismus findet.
Über Ingmar Wein
Ingmar Wein Ist ein freier Fotograf und Künstler aus dem Schwarzwald. Nach seinem Abitur ging es für ihn über sein Studium für ein Jahr nach Finnland. Dort hat sich die Leidenschaft zur Fotografie entwickelt. Seitdem ist Ingmar als Landschafts- und Festival-Fotograf international unterwegs. Seit über einem Jahr lebt er mittlerweile in Neuseeland und bereist dort aktuell die Südinsel.
Mehr über Ingmar findest du auf ingmarwein.com und auf seinem Instagram-Kanal @ingmarwein
(Titelbild: © Ingmar Wein)