Im Rahmen des Magazinthemas „Urlaub, Reisen und Roadtrips in Zeiten der Corona-Pandemie“ haben wir uns mit Insidern der Reisebranche, Reiseanbietern und mit Menschen unterhalten, die im Sommer/Herbst 2020 auf Reisen waren. Vor circa vier Jahren haben Selina und Frank von Pine Pins beschlossen, einen Camper zu kaufen und diesen ganz nach eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen zu gestalten – einen VW T4 Bus namens Rudi. „Das nötigste ist eigentlich immer im Bus, also kann man theoretisch immer losfahren“, so Frank. Die beiden sind seit kurzem Eltern. Dazu meint Frank, dass – auch trotz des damit neu auftauchenden Mehraufwands – mit zusätzlichem Packzeug und intensiverer Planung, der Camper-Modus beim Reisen relativ rasch da ist. Wie die beiden das ganze meistern inklusive purer Rohfassung des Family- und Van-Lebens, das teilen Pine Pins regelmäßig auf Instagram und Youtube.
Der ursprüngliche Plan von Selina und Frank für das Jahr 2020 war es, die gemeinsame Elternzeit miteinander im VW T4 irgendwo im nirgendwo auf Reisen zu verbringen. Seit aber seit Frühjahr 2020 klar war, dass das Reisen 2020 nicht so möglich sein wird, wie sie es sich die beiden vorgestellt hatte, haben sich Selina und Frank kurzerhand für ein neues Projekt entschlossen: Den Ausbau eines leeren Sprinters zum vollwertigen Camper. Mit diesem Van namens Bruno hoffen die zwei dann im Sommer 2021 ohne Einschränkungen mit ihrem Kleinen losziehen zu können. Wir haben uns mit Selina und Frank unterhalten – über das Reisen in der eigenen Heimat und darüber, wie sie trotz Corona-Pandemie in der Natur abschalten konnten – und über ihre Pläne für 2021.
Beginn des Interviews
Liebe Selina, lieber Frank, wie habt ihr, trotz Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020, Möglichkeiten gefunden, zu reisen?
Selina und Frank: Wir haben in den letzten Monaten festgestellt, dass unser liebster Aspekt am Reisen mit dem Bus noch wichtiger geworden ist: Und zwar die Flexibilität. Schon immer sind wir absolut begeistert davon, unabhängig von Planungen und total spontan zu sein. Da uns Corona die letzten Monate immer wieder in die Schranken gewiesen hat, haben wir diese beiden Dinge noch viel mehr schätzen gelernt als wie wir es so oder so schon getan haben. Der erste richtig heftige Lockdown war für Selina und mich mit einem nur wenige Monate alten Kind wirklich nicht leicht. Wir hatten aber das große Glück, immer wieder in die Natur fliehen zu können, kleine Trips in den Schwarzwald zu machen oder in den benachbarten Kaiserstuhl. Richtig zu reisen war während dieser Zeit natürlich nicht möglich und uns war es auch sehr wichtig, dass wir nichts „falsch“ machen. Wir haben es aber unendlich genossen, mit unserem Van Rudi einfach nur zu dritt, immer wieder für eine oder mehr Nächte die Ruhe direkt in der eigenen Umgebung zu genießen. So fern von allem und ganz für sich haben wir es dann auch immer wieder geschafft, uns „ganz normal“ zu fühlen und diese verrückte Corona-Situation hinter uns zu lassen.
Ihr sprecht hier ein Thema an, das meist unterschätzt wird: Das Kennenlernen und Entdecken im eigenen Umland. Wie sehr konntet ihr hierbei abschalten und vom Alltag loslassen?
Selina und Frank: Im Grunde kommt es aus unserer Sicht nicht unbedingt auf die Entfernung an oder darauf, ob man eine Ländergrenze überschreitet, sondern darauf, sich wohlzufühlen und in einer Umgebung zu sein, in welcher man Neues entdecken kann. Ich (Frank) war sogar schon 2019 bevor je das Wort Corona gefallen war mit meinem guten Freund Mathis auf Deutschlandreise, da wir festgestellt haben, dass wir unsere Heimat einfach viel zu schlecht kennen. Daraus ist sogar ein Dokumentarfilm mit dem Namen „HEIMREISE – auf acht Rädern durch Deutschland“ entstanden und ironischerweise ist das, auf Grund der Umstände, heute für viele auf einmal eine total akzeptable Möglichkeit.
Abschalten können wir im Schwarzwald ums Eck bestimmt genau so gut wie am Strand in Kroatien oder in den Bergen der Schweiz. Gleichermaßen finden wir natürlich auch, dass der Charme von einer weiteren Reise, in einem fremdsprachigen Land, mit anderen Menschen und einem anderen Klima, immer etwas anderes sein wird als ein Kurztrip „hinters Haus“. Wir wollen das nur nicht so stark werten und finden beides hat seine wundervollen Seiten, auch im eher nahen und bekannten Umfeld gibt es immer mehr zu entdecken, als man erst ahnen würde.
Nun habt ihr zuletzt kurze Trips unternommen. Daher: Was vermisst ihr am längeren Reisen? – gibt es eurer Meinung nach starke, persönlich spürbare Unterschiede zu kürzeren Ausflügen?
Selina und Frank: So schön die Kurztrips sind, vermissen wir südeuropäische Wärme, mit den Füßen durch den heißen Sand am Meer zu laufen oder sich eine enge Passstraße, am gefühlt anderen Ende der Welt, hochzuschlängeln. Der Flair und die Ausstrahlung anderer und fremder Kulturen und auch die Ungewissheit was einen erwarten wird… das sind viele Kleinigkeiten, die aber einen großen Unterschied ausmachen. Bei den kurzen Ausflügen und Trips ist man natürlich vieles schon gewohnt, viel ist absehbar oder eben wie zuhause. Für uns war das aber, vor allem mit einem kleinen Kind, auch eine Möglichkeit entspannt zu reisen. Man muss sich dann auch an neue Dinge und Situationen gewöhnen und diese kennen lernen – man hat auch die ein oder andere kleine Sorge oder Unruhe im Gepäck und vieles ist ganz anders. Corona und auch unsere persönliche Situation waren mit Sicherheit ein Grund, dass 2020 sich ein bisschen wie ein Reise-Testjahr für uns angefühlt hat. Wir haben viele Erfahrungen gesammelt, bemerkt, was gut und was nicht so gut ist, und uns für, u.a. auch wegen dem Platzmangel, für einen neuen Van entschieden und somit hoffen wir, dass wir kommendes Jahr gut vorbereitet und grenzenlos losziehen können.
Habt ihr auch neues in eurer Nähe entdeckt? Wie seid ihr dazu gekommen?
Selina und Frank: Wir haben die letzten Monate unglaublich viel neues entdeckt, ja! Wir sind zwar schon kleine Gewohnheitstiere und wenn man weiß, an welcher Stelle es schön ist, dazu verleitet, immer wieder genau dort hin zu fahren. Aber genau das ist es, was man einfach nicht tun sollte. Wir haben auch während der Zeit in der man lediglich in Deutschland unterwegs sein sollte, immer wieder, teils eher blindlinks, neue Ziele angefahren und haben die Dinge einfach auf uns zukommen lassen. Zum Beispiel waren wir im Herbst im Weserbergland… Weserbergland??? Ja, am Anfang hatten wir auch viele Fragezeichen, warum wir genau dort hinfahren, was es dort zu sehen und zu tun gibt und ob es sich lohnt. Ein paar Stunden Fahrt später wurden wir total positiv überrascht, von tollen Landschaften, traumhaften Herbstwäldern und liebevollen Menschen. Kurz gesagt, hatten wir solche Momente dieses Jahr immer wieder und zum Teil sind wir mit eher geringer Erwartung an ein Ziel gefahren und ehrlich gesagt waren wir fast durchgehend zufrieden und glücklich mit unseren Zielen… und unter uns… wir sind ja immer noch im Camper unterwegs und im Notfall fährt man eben weiter.
Wie vertreibt ihr euch neben dem Ausbau eures Sprinters Bruno aktuell die Zeit, um das Fernweh zu stillen?
Selina und Frank: Die Reisen mit dem Bus sind vermeintlich zwar der spannendste Teil unseres Lebens, aber neben all dem haben wir doch ein recht normales Leben mit Job, Studium und Alltag. Wir haben uns sogar vor ein paar Wochen dazu entschlossen umzuziehen und uns eine neue Wohnung bezogen. Mit Kind ist eine Homebase zum Wohlfühlen in der Prioritätenliste einfach nochmal ein Stück nach oben gerutscht und wir freuen uns jetzt, den anstehenden Winter in unserem neuen Zuhause verbringen zu dürfen. Das Fernweh wird ein stückweit jedes Mal, wenn am Van gebastelt wird, gestillt, da es in Vorfreude umgewandelt wird und wenn wir es gar nicht mehr aushalten, dann haben wir immer noch die Möglichkeit, raus in die Natur zu fahren.
Was würdet ihr anderen Reisenden mit Plänen für 2021 raten und wie sehen eure Pläne aus?
Selina und Frank: Vermutlich kann heute keiner zu 100% sagen, wie das Reisen heuer aussehen wird. Wir haben uns vorgenommen unseren Sprinter Bruno im Sommer fertig zu haben und dann endlich mal wieder so richtig für eine längere Zeit im Van unterwegs zu sein. Das ist der ganze Plan. Heute wollen wir noch keine zu detaillierten Pläne machen, wohin und wie lange die Reise gehen soll. Einerseits aus dem Grund, dass dieses Jahr wieder alles anders kommen kann und wir uns die Freude dadurch nicht verderben wollen und andererseits, weil wir einfach unendlich schlechte Planer sind. So wie ich uns kenne, entscheiden wir uns am Abend vor der Abfahrt, in welche Richtung es geht… eine Himmelsrichtung, die uns auf jeden Fall schon eine Weile im Kopf ist, ist der Norden… das ist jetzt aber genug Planung.
Euer Reisestil ist nachhaltig gedacht. Denkt ihr, unserer Gesellschaft würde es gut tun, auch in Anbetracht der Corona-Pandemie, sich vom aktuell noch stark vorhandenen Massentourismus langfristig zu verabschieden und sich mehr für Reise-Arten wie Roadtrips und das Reise-Leben im Van zu interessieren?
Selina und Frank: Wir hatten selbst noch nie große Berührungspunkte mit dem klassischen Massentourismus und auch wenig persönliches Interesse für diese Art von Reisen. Mit Sicherheit hat diese Art zu Reisen seine Daseinsberechtigung und ist für viele Menschen eine gute Art und Weiße die freien Tage zu genießen. Am Ende ist jeder selbst dafür verantwortlich wie er seine Reise gestaltet und zwischen Kreuzfahrtschiff und Wanderschuh liegen natürlich Welten. Wir finden es schön, wenn sich Menschen drüber Gedanken machen, welche Alternativen zu Reisen es gibt, kreativ werden und auch mal etwas Neues probieren. Die Corona-Pandemie zwingt uns mit Sicherheit ein Stückweit dazu, aus alten Mustern auszubrechen und neue Erfahrungen zu machen.
Der Camping Trend bringt aus unserer Sicht aber auch seine ganz eigene Problematik mit sich. Mittlerweile sind wir an vielen Orten schon weit entfernt von den Bilderbuch-Plätzen mitten in den Bergen oder am See, die man ganz für sich alleine hat. Ganz im Gegenteil sehen wir immer öfter überfüllte Stellplätze, viel zu viel Müll in der Natur, respektloses Campen in der Natur und auch das Nichtrespektieren des Wohnraums anderer, egal ob Mensch oder Tier. Wir sind uns sicher, dass jeder, der mit dem Camper unterwegs ist, ein Stück mit seinem Verhalten positiv dazu beitragen muss, damit wir auch in ein paar Jahren noch tolle Campingtrips zu wunderschönen Orten in der Natur machen können.
Jeder, der mit dem Camper unterwegs ist, muss mit seinem Verhalten positiv dazu beitragen, dass wir auch in ein paar Jahren noch Trips zu schönen Orten in der Natur machen können.
Selina & Frank, Pine Pins
Campen ist für uns die schönste Form des Reisens und ein wunderbares Gefühl von Freiheit. Wir sind in der Natur, wir erleben Orte ganz ursprünglich und echt – und können unendlich viel erkunden und entdecken. Natürlich soll jeder das Recht dazu haben, genau das zu erleben und genießen zu können. Da dies aber immer mehr Menschen schätzen, wird das nur funktionieren, wenn wir immer unseren Müll mitnehmen, nur dort stehen und campen, wo es erlaubt ist – und die Natur und die Locals respektieren.
Mehr über „Urlaub, Reisen und Roadtrips in Zeiten der Corona-Pandemie“ findest du hier im Hauptartikel zum Thema. Zudem haben wir aus den Gesprächen und Erfahrungen von Reisenden, Reiseanbietern und Reisebranche-Insidern im Winter 2020 sieben Regeln für das Reisen während der Corona-Pandemie erstellt. Zu diesen Regeln gelangst du hier.
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Interview: 2020, Pine Pins mit Roadtrip Stories (Titelbild: © Pine Pins)